Hehn und seine Vierzehn Nothelfer (7): Der Stadtpatron

 

Eine heimatgeschichtliche Plauderei von Helmut Köhnes

 

Quelle: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des "Rheindahlen Almanach '98"

 

Tradition lebt vor allem durch mündliche Erzählung und in unmittelbarer Weitergabe. Meine Mutter hat als zehnjähriges Mädchen im Jahre 1916 ihre erste Fußwallfahrt von Eicken nach Hehn gemacht. Gebetet wurde dabei für drei ihrer Brüder, die damals als kaiserliche Soldaten "im Felde" standen. Seitdem kennt sie Hehn gut. Als ich vor kurzem mit ihr für eine Viertelstunde bei den Grotten war, sah sie auch die Grottenheiligen wieder.

Vitus
Der 12-jährige Blutzeuge, Patron der Jugend, schützt vor Kinderkrankheiten, Veitstanz, Besessenheit und fallender Krankheit.

Darstellung:
mit oder in Fessel, mit Buch, Palme, Hahn

Kirchenlexikon
VITUS (VEIT) Heiliger, + um 304/305. - Die geschichtliche Existenz des heiligen Vitus gilt durch die frühen Nachweise seines Kultes als gesichert. Um das Jahr 600 entstand in der römischen Provinz Lucania die legendäre Passio S. Viti. Nach dieser war der Heilige der Sohn einer reichen heidnischen Familie und wurde in dem heutigen Mazaro del Vallo an der Südwestküste Siziliens geboren. Im Alter von 7 Jahren soll er zusammen mit seinem Erzieher Modestus und seiner Amme Crescentia, nach Lukanien geflohen sein, weil sein Vater Hylas zum Abfall vom Christentum zwingen wollte. Als Christen erkannt, wurden die drei vor das Gericht Diokletians nach Rom gebracht und obwohl Vitus den Sohn des Kaisers von Bessenheit heilte und andere Wunder tat, gefoldert oder in einen Kessel mit siedendem Öl geworden worden. Von der Marter weg habe sie ein Engel zurück nach Lukanien gebracht und seien dort aber bald gestorben.-Das früheste Zeugnis seines Kultures findet sich in der gallischen Rezension des dem Hoeronymus zugeschriebenen Martyrologiums und stammt aus der Zeit um 600. Die Vituslegende war in Oberitalien, Frankreich und Deutschland verbreitet. Nach einer niederdeutschen Fassung, der immer stärker ausgestaltenen Legende, soll der Leib des Vitus 583 von Sizilien nach Unteritalien gekommen sein, von wo er 756 in das Kloster St-Denis gelangte. Abt Hilduin soll die Reliquien 836 dem kurz zuvor gegründeten Kloster Corvey geschenkt haben. Dort entstand ein großes Zentrum seiner Verehrung entstand. Aus Corvey soll auch der Arm stammen, für den Herzog Wenzel in Prag eine eigene Kirche bauen ließ, den heutigen Veitsdom. Während des Dreißigjährigen Krieges verlor Corvey seine Vitusreliqiuen, die alle nach Prag gekommen sein sollen. In etwa 150 Orten sollen Reliquien des Heiligen aufbewahrt werden und in mehr als 1300 Orten finden sich Vituspatrozinien. Der Heilige wurde im ganzen Mittelalter und in der Barockzeit sehr verehrt. Er wird auch der Gruppe der vierzehn Nothelfer zugerechnet. Die Zahl seiner Patronate ist außerordentlich hoch. So war Vitus der Schutzheilige der Apotheker, Bergleute, Bierbrauer und Gastwirte, Küfer und Winzer. Er wurde bei Epilepsie (Veitstanz), Hysterie, Bessenheit, Tollwut, Schlangenbiß, Blitz und Unwetter angerufen. Als Nothelfer von Sterbenden wird er angerufen, da er nächtliche Verheißungen von Engeln erhalten habe. In der Ikonographie wird er meist als Knabe oder Jüngling in einem Ölkessel stehend mit Palme, Buch, Rabe, Adler oder Hahn dargestellt. Die Verbindung mit dem Hahn entstand dadurch, daß ihm wie dem slawischen Lichtgott Svantevit, den er verdrängte, Hähne geopfert wurden. Die weiteren Zusammenhänge des christlichen Heiligen mit dem slawischen Lichtgot sind bisher nicht erforscht. Seltener sind die Darstellungen, in denen Vitus als Schutzherr der sächsischen Kaiser mit Hermilin und Reichsapfel oder in der Begleitung von Modestus und Crescentia dargestellt wurden. Sein Festtag ist der 15. Juni.

 Die wirkten, wie immer, recht friedlich. Es sind ja auch schlichte Gestalten. Anspruchsvolle Kunstbücher tun ihrer keine Erwähnung. Schwerter wirken in ihren Händen nicht wie Tötungsinstrumente, sondern wie dekorative Stützen. Georg hat den Teufelsdrachen gänzlich bezwungen, Barbaras Palmzweig ist Zeichen ihres endgültigen Sieges. Das neunzehnte Jahrhundert war eben nicht das fünfzehnte.
So ist Vitus hier auch nicht in dem Ölkessel dargestellt, in dem er über dem Feuer zu Tode gebracht wurde. Zu seinen Füßen steht vielmehr ein Hahn, und man fragt sich, was der da soll. Eine gelehrte Erklärung, die wohl aus der antiken Tradition stammt, führt aus, daß ein Adler den Leichnam des Märtyrerknaben bewacht habe. In einer Handschrift, die das im Bilde festgehalten hat, habe man dann später einen ungeschickt gezeichneten Adler als Hahn angesehen, und von da an sei es bei diesem Mißverständnis geblieben. Eine andere Deutung, die aus dem Mittelalter stammt, nimmt darauf Bezug, daß Vitus - als Veit - Patron des Domes von Prag ist. Aus dieser Sicht gilt der Hahn als heiliges Tier christianisierter und damit überwundener slawischer Völkerschaften: Der Hahn duckt sich zu Füßen des Heiligen.
Der fromme Betrachter dieser Darstellung konnte meist von der einen Deutung ebensowenig wissen wie von der anderen. Es erlebte aber täglich, daß der Hahn in seinem Hof ihn im Morgengrauen weckte: Das war's!
Meiner Mutter fiel in Hehn denn auch prompt die alte Doppelzeile wieder ein:
"Hellije Sank Viit, weck mech op de Tiid!"
Sofort danach meinte sie lächelnd zu mir, sie sei ja schon so lange in Rente, daß Vitus sich um ihr zeitiges Aufstehen nicht mehr bemühen müsse.
Ich glaube nicht, daß Vitus sich ärgert, wenn Oma morgens lange schläft. Eher schon ärgert er sich, daß die Stadt, in deren Münster er der Patron ist, ein kommerzielles Center nach ihm benannt hat. Er ärgert sich auch, wenn ein Sprecher des lokalen Rundfunks zwar von der "Vitusstadt" spricht, dabei aber das "V" in "Vitus" wie in vanitas, vinum und votum stimmhaft ausspricht. Das tut nur einer, der zwar lateinische Vokabeln gelernt hat, der aber in der hiesigen Sprachwelt nicht zu Hause ist. Dem Gladbacher Hehnpilger ist die Aussprache klassischen Lateins entweder fremd oder gleichgültig. Er spricht den Namen seines Stadtpatrons so aus, wie er es als Kind gehört hat: Mit bodenständig-stimmlosem F.
So ist es - bei St. Vith!

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