Hehn im Kulturkampf, Pfarrer Richard Bertram (1873-1888)

Erzbischof Melchers zur Gefängnisstrafe verurteilt

Nach dem Weggang Berchems setzte der Kölner Erzbischof in Hehn einen neuen Pfarrer ein. Er hieß Richard Bertram. Das wurde dem Kirchenvorstand am 23. Oktober 1873 mitgeteilt. Der neue Pastor stammte aus Stolberg (Kreis Aachen). Dort war er am 14. Juli 1834 zur Welt gekommen. Somit war er bei seiner Berufung nach Hehn 39 Jahre alt, auch das war für damalige Verhältnisse noch recht jung. Es war seine erste Pfarrstelle. Zuvor war er nach seinem Studium in Bonn und Tübingen und seiner Priesterweihe 1859 Kaplan in Brachelen (Kreis Heinsberg) gewesen.

 

Wie bei Berchem so weigerte sich der Kölner Oberhirte auch dieses Mal, Anzeige über die Neubesetzung beim zuständigen Oberpräsidenten in Koblenz zu erstatten. Jeder konnte damit rechnen, dass konfliktreiche Jahre der Pfarre Hehn bevorstanden.
Wegen der Ernennung Bertrams ohne Benachrichtigung der entsprechenden Behörde wurde Erzbischof Melchers gerichtlich belangt und schließlich zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, was einen Sturm der Entrüstung unter den Katholiken hervorrief und als „Fall Bertram“ in die Geschichte einging.

Die „Sperrung“ von Pfarrer Richard Bertram

Richard Bertram nahm im Oktober 1873 seinen Dienst in Hehn auf, wusste aber, dass ihm eine sogenannte Sperrung drohte, die ihm das öffentliche Lesen der Messe und das Spenden der Sakramente verbot. Bei der Zivilgemeinde Gladbach-Land, zu der Hehn gehörte, lag schon die entsprechende Verfügung vor. Johann Josef Rottländer (1798-1879), der an der Spitze dieser Gemeinde stand und als ehemaliges Stadtoberhaupt von Mönchengladbach den Ehrentitel eines Oberbürgermeisters trug, geriet in einen Gewissenskonflikt.
Einerseits war er bekennender Katholik, andererseits ein loyaler Staatsdiener. Er schwankte, bekam dann aber „einen Drücker von oben“, wie es Bertram ausdrückte.
Am 5. Februar 1874 wurde Bertram „gesperrt“, einige Wochen später von einem Gericht in Düsseldorf vernommen und dreimal zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er weiter seinen seelsorgerischen Verpflichtungen nachkam.
Der Versuch des Gladbacher Landrats im Juli 1874 zehn Pfarrmitglieder zu finden, die einen Antrag auf Neubesetzung der Pfarre stellen sollten, scheiterte kläglich. Die Hehner standen zu ihrem Pastor.
Um nicht noch höher bestraft zu werden und ins Gefängnis zu kommen, wie es Erzbischof Melchers im März geschehen war, las Bertram an den Werktagen in der Klosterkapelle „stille“ Messen, während Pfarrangehörige in der Kirche den Rosenkranz beteten. Schon vor 130 Jahren waren also die Pfarrangehörigen zum ersten Mal gezwungen, sich für längere Zeit selbst zu versorgen.
Bertram war eine Kämpfernatur. Er dachte nicht daran, die verhängten Geldstrafen zu entrichten, woraufhin ihm die Möbel gepfändet wurden.
Ähnliches war Erzbischof Melchers widerfahren. Schließlich zahlte der Hehner Kirchenvorstand die Strafen. Die Schikanen gingen weiter. Bertram wurde aus dem Pfarrhaus gewiesen und musste in das Haus des Küsters ziehen.
Dort fand er Muße, humorvoll geschriebene praktische Ratgeber für junge Arbeiter und Handwerksgesellen zu schreiben. Sie wurden von dem 1879 entstandenen Verband „Arbeiterwohl“ herausgegeben, dessen Mitbegründer der Gladbacher Industrielle Franz Brandts (1834-1914) gewesen war. Bertrams Schriften waren als Gegenstück zu dem 1881 erstmals veröffentlichten „Häuslichen Glück“ gedacht, das sich an junge Arbeiterfrauen gewandt hatte, und zu einem „Bestseller“ geworden war. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit konnte Bertram wenigstens außerhalb der Schulzeit Religionsunterricht erteilen.

Die Pfarre Hehn finanziell stark belastet

Durch die im Kulturkampf erlassenen so genannten Maigesetze wurde die kirchliche Vermögensverwaltung unter staatliche Aufsicht gestellt. In Hehn wurden 1875 zunächst das Stiftungsvermögen für die Gedächtnismessen und später das eigentliche Pfarrvermögen beschlagnahmt, das nicht groß war und dessen Beschlagnahmung nach Einspruch wieder rückgängig gemacht werden musste. Aber der Kirchenvorstand sollte daraufhin dem Regierungspräsidenten in Düsseldorf die Kirchenrechnung und andere finanzielle Unterlagen zusenden. Der weigerte sich und ließ sich verbotenerweise von Bertram ein Schreiben aufsetzen mit der Frage, woher der Staat das Recht nehme, so etwas zu verlangen. Es ging ein umfangreiches Antwortschreiben ein. Der von Bertram beratene Kirchenvorstand zeigte sich davon nicht überzeugt und erklärte, er beuge sich jetzt nur der Gewalt.
In Düsseldorf war man empört und beschied, solche Schreiben würde man zukünftig umgehend zurücksenden. Der Pfarre Hehn blieb wegen der „Sperrung“ Bertrams nichts anderes übrig, als an Sonn- und Feiertagen auswärtige Geistliche aus Stadt und Kreis Gladbach in der Kirche die Messe feiern zu lassen. Sie wurden mit der Kutsche abgeholt und mussten beköstigt werden. Die Kosten dafür haben etwa das Doppelte vom dem betragen, was ein Weber in Gladbach jährlich verdiente.

1886: Pfarrer Bertram kann wieder seelsorgerisch wirken

1886 begannen Verhandlungen zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche, den Kulturkampf zu beenden. Daraufhin durfte Pfarrer Bertram nach einer Wartezeit von zwölf Jahren im Mai des Jahres die Seelsorge ungehindert übernehmen. Nach der Beendigung des Kulturkampfs konnte am 19. August 1887 auch wieder einmal der Kölner Erzbischof die Pfarre besuchen. Es war der zwei Jahre zuvor ernannte Philippus Krementz (1819-1899). Er wurde mit Jubel und großem Prunk empfangen. Die Häuser waren mit Girlanden, Kränzen und Fahnen geschmückt und der Weg von Wolfsittard bis zur Kirche in Hehn von Triumphbögen gesäumt.
Man wusste, was man seinem Oberhirten schuldig war und demonstrierte katholische Präsenz. Der Erzbischof firmte 245 Personen. Diese hohe Zahl ist dadurch zu erklären, dass während des Kulturkampfs die Spendung dieses Sakraments nicht möglich gewesen war. Der Erzbischof besuchte bei dieser Gelegenheit neben dem Krankenhaus auch das Marienkapellchen.
„Die Bewohner von Hehn waren“, wie es später in einer Zeitung hieß, welche die herrschende Stimmung richtig wiedergab, „in allen Stürmen ihrer heiligen Mutter, der römischen katholischen Kirche treu geblieben“.
Nach einer Zeit der Konsolidierung suchte sich Bertram eine besser dotierte Stelle und ging 1888 nach Brühl (Rhein-Erft-Kreis), eine aufstrebende
Industriestadt an der Eisenbahnlinie von Köln nach Koblenz. Dort wirkte er an der Kirche zur hl. Margaretha noch über dreißig Jahre. 1896 wurde er Dechant, 1919 Ehrenbürger der Stadt Brühl. Preußen zeichnete ihn, das einstige Opfer des Kulturkampfs mit hohen Orden aus. Das ist die Ironie des Schicksals. 1920 ist er gestorben. In Brühl ist eine Straße nach ihm benannt.

Die Hehner Muttergottes vor dem Zweiten Weltkrieg

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