Die Wilhelminische Zeit, Pfarrer Theodor Jöbges (1888-1916)

Der Nachfolger Bertrams hieß Theodor Jöbges. Er stammte aus dem benachbarten
Rheydt, wo er am 14. September 1840 geboren worden war. Dieser Ort war damals noch überwiegend evangelisch und erhielt erst zur Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert eine katholische Mehrheit, verursacht durch die stetige Zuwanderung von Menschen aus dem katholischen Umland ab 1850.

Auch Theodor Jöbges entstammte einer Zuwandererfamilie, die aus Korschenbroich (Kreis Neuss) nach Rheydt gekommen war. Sein Urgroßvater hatte sich zur französischen Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts dort niedergelassen.

Theodors Vater Reiner betrieb eine Branntweinbrennerei.
Er gehörte zum katholischen Establishment. Es war selbstverständlich, dass Theodor das katholische Stiftisch Humanistische Gymnasium in der Nachbarstadt Mönchengladbach besuchte und, da es dort damals noch nicht möglich war, sein Abitur in Neuss am Quirinusgymnasium machte, das in der Tradition der alten Jesuitenschule stand. Anschließend studierte er in Bonn Theologie und wurde am 23. April 1865 in Köln zum Priester geweiht. Einen Monat später feierte er in der von Vincenz Statz erbauten Rheydter Marienkirche seine Primiz. Daraufhin wurde er Kaplan in Birgelen (heute Stadt Wassenberg/Kreis Heinsberg), wo er 23 Jahre blieb.
Die Auswirkungen des Kulturkampfs erlebte er hautnah, als er als Pfarrverweser in Orsbeck und Myhl (heute beide Stadt Wassenberg) aushelfen musste. Neben der Seelsorge schrieb er für die katholische Erkelenzer Volkszeitung, um auch auf diese Weise die Gläubigen mit der christlichen
Botschaft zu erreichen und ihnen in Zeiten des Kulturkampfs den Rücken zu stärken. Jöbges wird froh gewesen sein, dass er 1888 im Alter von 48 Jahren nach langen 23 Kaplansjahren auf eigene Füße kam. Hehn wird ihm als Marienverehrer besonders gefallen haben. Schon als Junge war er mit seinen Eltern zur Muttergottes von Hehn gewallfahrt. Eine solche lange Wartezeit war damals nicht selten und hing nicht mit der Einschätzung der Fähigkeiten des Geistlichen zusammen. Es gab einfach zu viele Anwärter auf zu wenige Pfarrstellen. Ein Zeitgenosse Pfarrer Jöbges, der bedeutende Peter Norrenberg (1847-1894), der 1889 mit einer Geschichte des Dekanats Gladbach an die Öffentlichkeit trat, war 20 Jahre lang in Viersen gewesen, ehe er 1891, kaum jünger als Jöbges, im Alter von 44 Jahren Pfarrer in Süchteln (heute Stadt Viersen) wurde, wo er nur noch bis zu seinem Tod drei Jahre tätig sein konnte. Da hatte Theodor Jöbges eine andere Kondition:
Ihm waren 28 Jahre in Hehn vergönnt.

Die Einführung von Pfarrer Jöbges

Als Jöbges am 30. Dezember 1888 in die Pfarre eingeführt wurde, hatten seine Pfarrkinder „alles aufgeboten, um dem neuen Pfarrer einen würdigen Einzug in seine Pfarre zu bereiten“, wie es damals hieß. In Anspielung auf seine 23 Priesterjahre hatte man 23 Ehrenpforten errichtet. Das gehörte nach zeitgenössischem Verständnis einfach dazu, ebenso wie ein Fackelzug und eine Festversammlung. Dem neuen Pfarrer als der bedeutendsten Respektperson in Hehn stand eine solche Ehrung zu.

Wieder einmal ein schneller Bau

Schon am 27. Januar 1887, also noch zu Zeiten des Pfarrers Bertram, hatte der Kirchenvorstand einstimmig beschlossen, die Kirche zu erweitern und dafür ein Darlehen in Höhe von 40.000 Mark aufzunehmen, weil der Statzbau schnell zu klein geworden war. Zum Vergleich: Ein Weber verdiente damals etwa 600 Mark im Jahr. Die Summe entsprach also dem 60-fachen.
Wie schon eine Generation zuvor wollten die Hehner, um Kosten zu sparen, die Ziegel in einem dafür aufgestellten Ofen selbst brennen. Die Regierung in Düsseldorf genehmigte aber das Bauvorhaben nicht, da die Finanzierung nicht gesichert sei. Daraufhin verpflichteten sich zwanzig wohlhabende Pfarrangehörige, das Darlehen auf ihren Namen zu übernehmen. Es sollte durch freiwillige Beiträge und sonstige Einkünfte der Pfarre abgetragen werden. Damit war das Generalvikariat in Köln einverstanden.
Jetzt fehlte noch die staatliche Baugenehmigung. Ohne darauf zu warten, wurde am 14. Mai 1889 unter Pfarrer Jöbges der erste Spatenstich getan. Vier Wochen später kam die staatliche Zustimmung. Schon nach einem Jahr war der Erweiterungsbau vollendet. Am 29. Mai 1890 wurde er durch den Kölner Weihbischof und späteren Erzbischof und Kardinal Antonius Fischer (1840-1912) feierlich konsekriert.

Die Pläne für den Ergänzungsbau gehen auf Julius Busch (1838-1912) zurück.
Er stammte aus Kevelaer (Kreis Kleve). Nach seiner 1868 bestandenen Prüfung als Privatbaumeister ließ er sich in Neuss nieder. Er hat etwa 120 Kirchen entworfen, umgestaltet und restauriert. Er war musisch vielseitig begabt und trat zu seiner Zeit als Komponist und Chorleiter hervor. In Mönchengladbach erbaute er die Kirchen in Bettrath und Hermges, machte Entwürfe für die Kirche in Broich-Peel und die Kirchenerweiterung in Venn,
baute die Kirche in Wanlo aus und war an den Umgestaltungen der Kirche in Neuwerk, der Gladbacher Pfarrkirche, dem Gladbacher Münster, für das
er den heute abgetragenen Turm entwarf, und an der Kirche in Wickrath beteiligt. Seine Handschrift ist wie die von Statz immer noch an vielen Kirchen im Mönchengladbacher Stadtgebiet zu erkennen.
Zu seinen besten Leistungen gehört der Ausbau der Kirche in Hehn. Er trug den Chor ab und baute im Osten ein hohes Oktogon mit Chor an. Für die
Erweiterung übernahm er die Ziegelarchitektur und den Abschluss mit Kreuzrippengewölben. Im Westen baute er zwei flankierende Türme an, die vom Viereck ins Achteck übergehen. Ebenso wurde der Sockel des Dachreiters als Achteck gestaltet.
Die Wiederholung des Achtecks war wohl eine bewusste Anspielung auf das Achteck der Gnadenkapelle, deren Bedeutung für die Pfarre damit augenfällig wurde. Eine Hindeutung auf das Oktogon des Aachener Münsters war wohl nicht beabsichtigt. Ebenso muss offen bleiben, ob sich Busch der symbolischen Bedeutung der Zahl Acht bewusst war: Am achten Tag beginnt eine neue Woche. Deshalb verbindet man mit der Zahl Acht den Neubeginn und die Wiedergeburt in der Taufe.
Durch den Anbau des Oktogons von Julius Busch wurde der gedrängte Statzbau nach Osten zu einer lichtvollen Weite geöffnet. Die Kirche bekam
eine ansehnliche Großzügigkeit. Aus dem Erweiterungsbau von Julius Busch sind erhalten geblieben: Fenster im neugotischen Stil, davon drei im Chor mit Szenen aus dem Marienleben (Tempelgang Mariens, Himmelfahrt Mariens, Maria begegnet Jesus auf dem Kreuzweg), der Corpus des Hängekreuzes im Oktogon und die Tische der Seitenaltäre in den Nischen des Oktogons.

Was hinter der Architektur steckt

Die Architekten Statz und Busch hatten eine Kirche gebaut, die sowohl Ort der Stille, Sammlung und Besinnung, als auch der Versammlung für Messfeiern und andere Gottesdienste war. Als Haus Gottes und „Begegnungsraum mit dem Höchsten“ (M. Struck) hob sie sich in der Gestaltung und der Größe betont von den Wohnhäusern im Umkreis ab. Sie war das Herz der Gemeinde. Die Hehner erfüllte mit Stolz, dass sie weitgehend aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln ein solch stattliches Gebäude geschaffen hatten.